10. Die Bürgergemeinde

Das Wichtigste in Kürze:

  • Das älteste Dokument im Gemeindearchiv Müllheim stammt aus dem Jahre 1482. Auf dieser Pergamenturkunde werden die Abgeordneten des Dorfe „Anwälte der Ehrsamen Gemeinde Müllheim“ genannt.
  • Das älteste Protokollbuch der Bürgergemeinde beginnt mit dem Jahre 1613. Nachdem einige Bestimmungen über das Bürgerrecht festgehalten waren, schrieb man ein Verzeichnis aller Erbgüter.
  • An den Gemeindeversammlungen wurden Wahlen abgehalten über die Verwaltung, aber auch über Förster, Kuhirten, Hebammen und weiteres. Es wurden Rechnungen genehmigt, Holztage, Kornlese oder Traubenernte und ähnliches bestimmt und der Frondienst geregelt.

Älteste Dokumente

Seit 1482 geht aus einigen Dokumenten hervor, dass es „Anwälte der Ehrsamen Gemeinde Müllheim“ gab. Es regierten jeweils 4 gemeinsam:

  • 1482: Konrad Etter, Konrad Werner, Hans Friedrich und Grosshans Jüry
  • 1488: Hans Friedrich, Konrad Schmid, Heinrich Bont und Heinrich Itz

Erstmals direkt als „Bürgermeister“ erwähnt wird 1638 Hans Adam Gubler, der eine Urgemeindeversammlung leitet.

 

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Ein Brief von 1465. Darin werden die Grenzen der Gerichte Märstetten, Illhart und Wigoltingen beschrieben. Im Gemeindearchiv

 

Erste Protokolle

Im Verlaufe des 16. und 17. Jahrhunderts entstand aus der «Markgenossenschaft» in vielen kleinen Schritten die Bürgergemeinde Müllheim. Es wurden Versammlungen abgehalten und Beschlüsse gefasst.

Aus einem ersten Protokoll aus dem Jahre 1613 erfahren wir einiges über das Bürgerrecht:

  1. Heiratet ein hier wohnhafter Bürger eine Nichtbürgerin von ausserhalb der Gemeinde, so muss er für sie ein Einzugsgeld entrichten.
  2. Heiratet ein ausserhalb der Gemeinde wohnhafter Bürger ohne die Gemeinde anzufragen, soll er das Bürgerrecht verlieren.
  3. Wer ausserhalb der Gemeinde wohnt und während mehr als drei Jahren sein jährliches Säckelgeld von einem halben Gulden schuldig bleibt, verliert das Bürgerrecht.

Von 1640 stammt folgender Beschluss über die Ausbürger (also Bürger einer anderen Gemeinde): „…dass ein yeder ussbürger so alhir wohnhafft ist, jerlich sölle der Gmeindt erleggen ein Satzgelt 1 X für ein yedes Houpt Vieh“. ( Jeder Ausbürger, der hier wohnhaft ist, soll jährlich der Gemeinde für jedes Stück Vieh einen Kreuzer bezahlen).

Diese Ausbürger wurden auch „Hintersassen“ genannt, weil sie oft „etwas weiter hinten ansässig“ waren, also ausserhalb des Dorfkerns.

Als der Amtmann im Jahre 1660 einem Hintersässen das Bürgerrecht verleihen wollte, war die Gemeinde damit partout nicht einverstanden. Der Kandidat, Landrichter Hans Etter, hatte die Müllheimer Witwe Margaretha Bridler geheiratet. Er war offensichtlich ein wohlhabender und gebildeter Mann, der auch das Vertrauen der bischöflichen Beamten gewinnen konnte, und mit ihm erhielt Müllheim erstmals einen evangelischen statt einen katholischen Gerichtsschreiber. Trotzdem beschlossen alle 82 Bürger (die im Protokoll mit Namen aufgeführten wurden) an einer Versammlung einmütig, dass sie keine neuen Bürger wollten.

Die Müllheimer zogen den Streit vor den Landvogt, vor die kleine Tagsatzung in Frauenfeld und schliesslich gar an die grosse Tagsatzung zu Baden, verloren aber jedes Mal. Etter wurde, nachdem er über 20 Jahre im Dorf gewohnt hatte, ein Müllheimer Bürger.

Die Bedenken der Müllheimer bestätigten sich: der Amtmann hatte die Einbürgerung nur durchgedrückt, weil er weitere Hintersässen, diesmal aber katholische, einbürgern wollte. Kaum ein Jahr später wurde Killian Kesselring mit Familie neuer Müllheimer Bürger. Er hatte dafür 240 Gulden zu entrichten, zwei Drittel dem Bischof, ein Drittel der Gemeinde.

Ganz so schlimm wie befürchtet kam es dann aber doch nicht. Die nächsten drei Einbürgerungen betrafen Evangelische, die schon bis zu 23 Jahren ansässig waren. Dennoch wehrten sich die Müllheimer mit allen Mitteln. Durch jahrelange Umtriebe, Gesuche und Unterhandlungen brachten sie den Bischof endlich zu einem Vertrag. Nach ihm sollte in Zukunft „ohne Wissen und Willen der Gemeinde keine Bürgeraufnahmen mehr stattfinden.»

 

Aufgaben der Gemeinde

Drei Entscheidungen, die schon sehr früh im Dorfe selbst gefällt wurden, seien hier beispielhaft aufgeführt:

1. An jeder Jahresgemeinde wurde ein Kuhhirt gewählt.
Das Reglement dazu wurde von der Bürgergemeinde 1649 bestimmt.

2. Mindestens ab 1673 wurde jährlich der Förster neu gewählt.
Er sollte „alle Tag in der Gemeindt zuogehörige Höltzer gohn.“

3. Wahl der Hebamme durch eine „Wejber – Gemejnd“.
Sie erfolgte „auf Absterben der Hebam, nach bejden Gottsdiensten“.

Holztage, Kornlese, Kornsammeln und Traubenernte wurden von der Gemeinde selbst bestimmt. Sie war für Verbauung und Unterhalt der Bäche zuständig und regelte den dafür nötigen Frondienst.

Auch für die Feuerbekämpfung war die Gemeinde verantwortlich. Schon 1755 erwarb sich Müllheim eine Feuerwehrspritze. 1794 wehrte man sich gegen zu häufiges Üben: „… dass man wöle die Fürspritzen nur alle zwei Jahre probbieren, wegen viller Kosten…“ (es wurde teuer, weil mit den Übungen stets ein Trunk verbunden war).

 

Die Bürger- und die Ortsgemeinde

Bis nach 1800 bestand die Urgemeindeversammlung. Von ihr wurden alljährlich drei Bürgermeister gewählt. Wer am meisten Stimmen erhielt, wurde Säckelmeister (er führte das Finanzwesen). Wer am wenigsten Stimmen erlangte, übernahm das Amt des Thurmeisters (Aufsicht über die Dämme). Der dritte war der Kellermeister (er führte den Kehlhof).

Die wichtigste Errungenschaft der Helvetik (1798 – 1803) war zweifellos die Schaffung eines einheitlichen Schweizer Bürgerrechts. Gegen die Einbürgerung der Hintersassen wehrten sich die alten Dorfgenossen, weil sie die Gemeindegüter, Wald und Allmend, nicht mit den Neubürgern teilen wollten.

Die neue Kantonsverfassung von 1831 bestimmte die Bildung von neuen politischen Strukturen und die Bildung von Ortsgemeinden.

Aber noch 1839 wurde in Müllheim zwischen Bürgern und fremden Einwohnern unterschieden: „Auf den Antrag, dass den Beisässen nicht mehr erlaubt sei, auf dem Gemeindeboden Steine zusammenzulesen oder noch mehr, zu brechen, solle denselben aufs Fuder 5 Kreuzer Strafe auferlegt werden. Den Bürgern sei es jedoch gestattet, Steine zusammenzulesen und zu brechen“.

Die Lösung, mit welcher solche Streitsachen beendet wurde, lautete: In die Ortsgemeinde wurden alle niedergelassenen Schweizer Bürger aufgenommen, dies mit Stimm- und Wahlrecht, die Nutzung des Gemeindegutes blieb jedoch der Bürgergemeinde vorbehalten. Zu dieser gehörten alle ortsansässigen Familien mit Müllheimer Bürgerrecht.

Das Bürgergut der Bürgergemeinde Müllheim besteht momentan aus 200 ha Wald, aus 32 ha Kulturland und den beiden Gebäuden „Waldhütte im Eggwald“ und „Werkhof Langenharterstr.“

Der Einkauf ins Nutzungsrecht (und damit ins Bürgerrecht) steht grundsätzlich jedem Ortsbürger zu.

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