11. Hungersnöte und Überschwemmungen

Das Wichtigste in Kürze:

  • Der Kampf mit den Elementen, gegen Stürme und Feuer, besonders aber gegen das Wasser, beschäftigte Müllheim andauernd.
  • In den Chroniken der Pfarrherren tauchen nebst Krankheiten, Seuchen und Hungersnöten die Überschwemmungen immer wieder auf.
  • Oftmals verschob die Thur die Grenzen zu den Nachbargemeinden, Grenzsteine gingen verloren. Viele Pergamenturkunden zeugen von den Streitigkeiten, die deswegen entstanden.
  • Erst mit der grossen Thurkorrektion ums Jahr 1867 konnte der Fluss einigermassen gezähmt werden. Aber auch danach und bis in die Gegenwart blieb er unberechenbar.
  • Auch die Bäche traten immer wieder über die Ufer und richteten Schäden an.

Die Chronik des Pfarrers Rützisdorfer

Der evangelische Pfarrer Andreas Rützistorfer begann im Jahre 1667, eine Chronik zu schreiben. Alljährlich schrieb er in wenigen Sätze über die Ereignisse des vergangenen Jahres. Damit hinterliess er uns einen wertvollen Einblick in die Sorgen und Freuden seiner Zeit. Er notierte nämlich das, was für ihn und seine Zeitgenossen am wichtigsten war, und dies waren keine weltpolitischen Vorgänge.

Er erzählte von Wetterkapriolen wie Kälte und Hitze, von spätem Frost und schädlichem Schnee, von Unwettern, aber auch von guten Ernten. Wer seine Chronik liest, merkt, dass auch in jenen Jahren das Wetter regelmässig verrückt gespielt hat. Dazu waren damals die Auswirkungen auf die Einwohner viel spürbarer.

Oft schrieb Rützisdorfer auch von Krankheitsepidemien. Zwar war der letzte Pestzug bereits im Jahre 1611 mit all seinen Schrecken durch den Thurgau gezogen. Damals starben innert acht Monaten im Thurgau rund 34000 Menschen, das war rund die Hälfte der Bevölkerung. Aber auch andere ansteckende Krankheiten konnten grausam wüten: „Die rote Ruhr hat in diesem Sommer (1669) zu Mülheim starck regiert.“ Oder im Jahre 1678: ,,Im Hornung und Merzen hat das Hauptwehe (eine abgeschwächte Form der Pest) starck regiert, daran etliche verschieden sind.“

Auch das Vieh der Bauern war immer von Seuchen bedroht: „Hinzu kam in der grossen Hitz die schädliche Pest unter dem Vech.“

Einige Male schreibt der Pfarrer von Zeichen, die am Himmel zu sehen gewesen seien, beispielsweise: „… ein feuriges Wunderzeichen, dass von sich gegeben einen rauch und sich gekrümmt wie eine Schlange… „ fügt dann aber an: „Was es bedeute, ist Gott bekannt.“

Auch die öfters verspürten Erdbeben überlässt er dem weisen Walten Gottes. Wenn eine Feuersbrunst einen Hof zerstört hatte, wurden in den umliegenden Kirchgemeinden Spenden für den Wiederaufbau eingesammelt. Natürlich hat Rützisdorfer auch notiert, wenn eine solche „Steüher by der Kirchentür aufgehebt“ wurde.

Diese Notizen hat der evangelische Pfarrer im Tauf-, Ehe- und Totenregister der Kirchgemeinde hinterlassen. Diese Register reichen in folgende Jahre zurück:

(evangelisch / katholisch)

Taufen: 1625 / 1636

Trauungen: 1650 / 1653

Todesfälle: 1657 / 165

 

Hungersnöte

Missernten und Teuerung lösten in den Jahren 1692/93 im Thurgau eine grosse Hungersnot aus. Schon im Anfang des Winters 1691 herrschte Teuerung und Geldmangel. Der folgende schlechte Sommer und eine Kornsperre an der Südgrenze von Deutschland verstärkten die Not. In einem kantonalen Verzeichnis finden sich unter dem „Steckborner Kapitel“ folgende Angaben:

„Pfyn hat in 46 armen Haushaltungen etwa 60 bedürftige Wittwen und Waisen. Müllheim kann nicht genug über Armut und Not klagen, gibt aber keine Zahlen an. Wigoltingen: 50 Haushaltungen in äusserster Not.“

Dass Müllheim damals in verzweifelter Notlage steckte, zeigen auch die Gemeinde- und Kirchrechnungen. Den Pfarrern konnten vielfach die Zehnten nicht mehr überreicht werden. Die Einwohner waren fast vollständig von den Erträgen der Landwirtschaft abhängig, und dies hatte auch Auswirkungen auf die Höhe der Abgaben. Pfarrer H. Irminger, der ausgerechnet in diesem Hungerjahr die Stelle antrat, erhielt bedeutend weniger Kernen, Roggen und Haber als in normalen Jahren. Dazu stieg die Zahl der Armen, die von der Gemeinde auch nicht mehr unterhalten werden konnten und deshalb beim Pfarrer um ein Almosen anklopften.

Bessere Witterung und die Aufhebung der politisch bedingten Komsperre brachten langsame Besserung.

Nachdem es einige Jahrzehnte gut gegangen war, verschlechterte sich die Lage wieder: „Noch grössere Not brachte die allgemeine Theuerung von 1771, die schon in den Sechziger Jahren begonnen hatte. 1767 und 1768 missrieth der Wein; infolge nasser Witterung kam 1769 und 1770 dazu der Misswachs des Getreides. Der Preis desselben stieg stark an. Das Jahr 1771 brachte dann eine gute Ernte, und nach und nach heilten die Wunden der 71er Nothzeit.“

 

Überschwemmungen

Schon in der Chronik des Pfarrherren Rützistorfer, ab 1667,  taucht das Thema der Thurhochwasser immer wieder auf.

Beispielhaft für viele spätere Eintragungen seien die ersten drei zitiert:

  • 1673: „3 mahl ist die Thur ausgebrochen mit grossen zugefügten Schaden der nechst gelegenen Wisen, die überschwemmt und das Futter verderbt worden durch überlauffendes Wasser.
  • 1676: „In diesem Sommer ist die Thur zumandernmohl ausgeloffen. Sie hat grossen Schaden gethon in Hanff und Kornfeldern“.
  • 1677: „Den 11. Juny alle Bäch sind überlauffen und die Thur wie by Mannsgedenken niemahlen grösser. Der Hanf ward von dem Wasser niedergestossen, dass es zu erbarmen ist.“

Auch die Bäche traten regelmässig über die Ufer und richteten immer wieder Verwüstungen an: «By angehender Nacht kam ein zorniges Gewitter, darby ein Wolkenbruch den Dorfbach also wütend gemacht, der allenthalben aussgebrochen und grossen Schaden verursachet.»

Die Bäche wurden in Fronarbeit verbaut und begradigt.

 

Grenzstreitereien

Neben den immer wieder auftretenden folgenschweren Schädigungen an den Agrarkulturen zogen die Überschwemmungen der Thur auch Streitigkeiten nach sich. Im Bemühen, das Wasser vom eigenen Grund wegzuhalten, wurde die Thur einfach auf den Nachbarsboden gedrückt.

Pfarrer Amstein schrieb 1892: „ Die schwachen Versuche, welche einzelne Landbesitzer und Gemeinden machten, die Thur in eine ihnen unschädliche Richtung zu zwängen, erwiesen sich als durchaus erfolglos, da kein einheitlicher Plan verfolgt wurde. Jeder dachte nur daran, sein Land zu schützen. Daraus entwickelten sich sehr unfreundliche nachbarliche Verhältnisse.“

Viele Pergamente im Gemeindearchiv zeugen von verlorenen Grenzsteinen und neuen Festlegungen der Grenzen gegenüber den Nachbargemeinden:

  • 1599: Urteil des Landvogtes Frei in einem Streite der Gemeinden Müllheim und Hüttlingen betreffens Wuhrungen der Thur.
  • 15.11.1642: Hans Jakob Gubler ist zusammen mit Hans Adam Gubler Vertreter der Gemeinde Müllheim (vor dem Landvogt in Frauenfeld) gegen Eschikofen wegen der Thurwuhrungen.
  • 9. 1645: Hans Kessler vertritt im Namen der Gemeinde Müllheim das Versetzen eines Marksteins an der Hüttlinger Grenze.
  • 2. 1652: Hans Adam Gubler steht zusammen mit andern als Vertreter der Gemeinde gegen Eschikofen vor Gericht betreffs Thur-Wuhrungen.
  • 1. 1739: Hans Ulrich Etter steht als Bürgermeister gegen die Gemeinde Eschikofen wegen Marksteinen in der Werners-Wiesen vor Gericht.
  • 7. 1750: Franz Wyller steht als Gemeindeweibel mit anderen wegen der Thur gegen Eschikofen vor Gericht.
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